Dieser schmale Band (88 Prosastücke auf 70 bedruckten Seiten) verdient eine eigene Wertschätzung!

Christoph Leisten gelingt es in kurzen, äußerst prägnanten Texten ein aktuelles, sehr zutreffendes Panorama dieses besonderen Platzes zu entwerfen. Hierbei hält er sicher den Spagat zwischen dem touristischen Blick und lokaler Authentizität.
„Jedem Orientalismus misstrauen, … Sich das Erstaunen bewahren über das Befremdliche, das Befremden über das Erstaunliche.“
In seinen präzisen Beobachtungen und Reflektionen entsteht zwischen den beiden Buchdeckeln ein Bild, das meinen dortigen Erlebnissen sehr entspricht und diese im Nachhinein noch vertieft. Dafür Dank!
Die äußere sprachliche Gestaltung (es sind wirklich 88 aneinandergereihte Perlen) weist erneut darauf hin, dass Marrakesch und dem Djema el Fna am ehesten mit ausgewählten Mosaiksteinen nahezukommen ist. Manche verdichtete Beschreibung des Dichters scheint direkt durch meine Augen aufgenommen zu sein, um sie dann durch eigene Überlegungen zu vertiefen:„Dann, wie jeden Abend an demselben Ort: das Angelspiel,der simple Jahrmarktzauber, wie du denkst. Ein Gummiring, der um den Hals der Limonadenflasche gelegt werden muss, mithilfe dieser langen Bambusangel, was selten genug gelingt. Nur wenn der Patron des Geschäfts die Angel ergreift, ist das Kunststück im Nu gelungen; es raunt der Kreis der Zuschauer und man zückt die Münze für einen fünfminutigen Versuch, wie du. … Kontemplation: Versuch der Versenkung in die Statik jener Bewegung, die es erlauben würde, den Ring um eine der Flaschen zu legen. Fünf Minuten, gedankenverloren, eingewachsen in diesen Platz. Fünf Minuten, um in dieser Statur dein Leben zu überdenken und womöglich neu zu ordnen. …“

Oder die Farben der Stadt: „Hauptfarbe Rot, Hautfarbe. … Rot Rötlich Rosa in allen Schattierungen von Ocker- Terrakotta- Blass- Braun- Pastell- und Leuchtendrot …“

Auch einen meiner großartigsten Momente in dieser afrikanisch-orientalischen Stadt hat der Schrifsteller anschaulich festgehalten: Vgl. hierzu den Beitrag vom 17. 12. 17 ‚Ein fabelhafter Tag‘, Punkt 3 – wie mein Blick auf den Hohen Atlas sich generierte:Als wäre Christoph Leisten neben mir gestanden!

Zum Schluss bleibt mir eine Frage:
Was ist wohl mit den wiederholt erwähnten ‚Colaflaschenstöpseln‘ gemeint?


1 Kommentar

Uwe Möller-Lömke · 24. Februar 2018 um 22:02

Freundlicherweise hat sich Christoph Leisten mit einer Antwort auf meine letzte Frage gemeldet. Aus seiner Mail:
„P.S.:
Mit den Colaflaschenstöpseln hat es übrigens tatsächlich eine Bewandtnis …die aber fast nur für Menschen zu entschlüsseln ist, die (auch) das Marrakesch der Jahre von etwa 1990 bis 2010 kannten. In diesem Zeitraum gab’s alljährlich im Sommer gewisse Gewinne, die – codiert – in den Stöpseln „versteckt“ waren (zuerst CD-Player, später Handys, auch Motorroller und Kleinwagen), die natürlich insbesondere bei den einfachen und wenig begüterten Menschen sehr begehrt waren, weil sie etwas (westlichen) Wohlstand versprachen. Daher sah man sehr oft Menschen, die sich nach den (vornehmlich von Touristen) weggeworfen Stöpseln bückten — ein Bild von eimdringlicher Symbolik, wie ich damals fand…“
Dank an den Autor für die Aufklärung!

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